Wann haben Sie zuletzt eine Maske getragen? Zur Fastnacht vielleicht, oder zu einem Kostümball? Und haben Sie es auch bemerkt: Mit der Maske haben Sie sich anders bewegt, haben anders kommuniziert, waren vielleicht zu besonderen Späßen aufgelegt?
Hinter dieser scheinbaren Spielerei verbirgt sich ein tiefes kulturelles Erbe: Seit vielen Jahrtausenden nutzen Menschen auf der ganzen Welt Masken, um ihr Aussehen zu verändern und in andere Rollen zu schlüpfen. Ihre Beweggründe dafür sind so verschiedenartig, wie die Masken selbst. So kennen wir in unserem europäischen Kulturkreis die schellenlauten Maskenumzüge zum Austreiben des Winters im alemannischen Raum. Oder das ausschweifende Narrentreiben vor Beginn der Fastenzeit im Rheinland, bei dem im Schutz bunter Verkleidung gesellschaftliche Grenzen aufgelöst werden und auch die Obrigkeiten ihr Fett abbekommen. Und nicht zuletzt natürlich die sinnlich-geheimnisvolle Atmosphäre, die durch die Schönheit venezianischer Masken beim Karneval in Venedig hervorgerufen wird.
Doch wie so oft blickt das Museum Obentraut3 auch in Sachen Masken weit über den uns vertrauten Tellerrand hinaus. Unter den antiken Keramiken zum Beispiel findet sich ein Objekt, das erst auf den zweiten Blick mit seinem maskenhaften Charakter überrascht: Eine 2500 Jahre alte attische Trinkschale, auf deren äußere Wandung zwei Augenpaare gezeichnet sind. Trank jemand aus dem Gefäß, veränderte sich sein Antlitz, die Augen auf der Schale verdeckten seine eigenen. Wissenschaftler vermuten, dass so Böses abgewehrt werden sollte, der Schalen-Maske also eine magische Schutzfunktion innewohnte.
Im Zusammenhang mit Magie und Ritual stehen auch die beiden düster dreinblickenden Masken aus Tibet mit ihren spitzen Hörnern und wilden Bärten. Schamanen trugen sie, um in Trance mit der Wesenheit der Maske zu verschmelzen, sich ihre Kräfte anzueignen und Zugang zur jenseitigen Welt zu erhalten. Die kultische Verbindung zu Göttern, Geistern und Ahnen ermöglichte es ihnen, zwischen Diesseits und Jenseits zu vermitteln, Weissagungen zu verkünden und zu heilen.
Auch in Afrika, wo ihre vielfältige Präsenz in sämtlichen Lebensbereichen bis hin zur modernen Kunst unübertroffen ist, dienen bestimmte Masken dazu, Kontakt in unsichtbare Sphären aufzubauen. Ein besonders eindrückliches Beispiel sind die über einen Meter großen Brettmasken der Bwa in Burkina Faso, die fliegende Geister darstellen. Diese sollen bei Aussaat- und Ernte-Festen mit rituellen Tänzen wohlgesonnen gestimmt werden und auch in der Zukunft die Versorgung der Gemeinschaft mit Nahrung sicherstellen. Am anderen Ende der Welt, in Papua-Neuguinea, kam das imposante Tanzkostüm aus Tovei, das Maske und Gewand vereint, einst wohl zu einem ähnlichen Zweck zum Einsatz.
Neben der Kontaktaufnahme mit Kräften aus dem Jenseits kommen Masken in indigenen Kulturen auch zum Einsatz, um Werte und Wissen zu vermitteln. Im Schöpfungsmythos der Kwakiutl an der kanadischen Nordwestküste etwa spielt der Rabe eine zentrale Rolle. Rituelle Tänze mit Raben-Maske erzählen Eingeweihten aber nicht nur die uralten Geschichten rund um die schlaue und trickreiche Tiergottheit, die Teilnehmer an den Zeremonien erlernen durch das Gesehene auch moralisches und soziales Verhalten. Und viele tausend Kilometer südlich, im südamerikanischen Amazonasgebiet, machen Tiermasken die Kinder mit der umliegenden Natur und ihren mitunter gefährlichen Bewohnern vertraut.
Eine andere Funktion von Masken beleuchten im Museum Obentraut3 zwei weitere Exponate: Sowohl die Mumienmaske aus dem Alten Ägypten wie auch die Goldmaske aus der peruanischen Sicán-Kultur spiegeln die hohe soziale Stellung der Verstorbenen wider. Im Fall der südamerikanischen Maske wird sogar seine direkte Verwandtschaft zur höchsten Gottheit von Sicán hervorgehoben. Auch die ägyptische Mumienmaske sollte dem Toten gottgleiche Züge verleihen, und seine Macht und seinen Einfluss im Jenseits sicherstellen.
Ob in Europa, Afrika, Asien oder Amerika: Überall sind Masken Ausdruck eines tiefen menschlichen Bedürfnisses, über das Sichtbare hinauszugehen. Sie erlauben es, Grenzen zu überschreiten – zwischen Mensch und Gott, Leben und Tod, Realität und Mythos. Die Maske ist keine bloße Verkleidung – sie ist ein Werkzeug der Transformation.