Kaum zu glauben, dass der meisterhafte Bildhauer Olowe von Ise auch dieses Kunstwerk aus einem einzigen Stück Holz herausgearbeitet hat: Detailgenau stellt der Pfosten, der einst gemeinsam mit anderen das Verandadach eines Repräsentationsbaus trug, den Oba dar. Kerzengrade sitzt der Yoruba-König auf seinem Thron, sein Haupt schmückt eine asymmetrische Zopffrisur, seinen Hals eine imposante Perlenkette. In seiner Rechten hält er einen mit grafischen Mustern verzierten Stab, auf dem ein Vogel sitzt. Vögel gelten bei den Yoruba im Allgemeinen als Vermittler zwischen weltlicher und göttlicher Sphäre und werden oft in der Herrschersymbolik verwendet. Kleine Skulpturen, die dem König noch nicht einmal bis ans Knie reichen, verkörpern den Hofstaat. Olowe verwendet hier die Bedeutungsperspektive, die auch aus der europäischen Kunst bekannt ist: Wichtiges wird besonders groß, weniger Wichtiges im Vergleich dazu klein dargestellt.
Verandapfosten wie dieser oder die ebenfalls im Obentraut3 ausgestellten Pfosten mit Königin und General waren weit mehr als architektonische Elemente. In ihren opulent geschmückten Innenhöfen empfingen die Oba wichtige Besucher, und die hier zur Schau gestellten Kunstwerke dienten zur Untermauerung ihres Herrschaftsanspruchs.
An dieser Art von repräsentativer Kunst am Bau nahmen sich alle ein Beispiel, die ihrerseits nach hohen Ämtern strebten. Insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts bescherte dies den Yoruba-Bildhauern und ihren Werkstätten einen wahren Auftragssegen. Allen voran: Olowe von Ise. Mit seiner kühnen Durchbruchtechnik, seiner Liebe zu Details und seiner Fähigkeit, durch Licht und Schatten eine nie zuvor dagewesene Lebendigkeit zu schaffen, wurde er in seiner Heimat und schließlich weit darüber hinaus berühmt.
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